Die Erscheinung von Möbeln vergangener Epochen variiert sowohl im Design als auch in ihrer Holzauswahl und Oberfläche je nach jeweiligem Geschmack der Zeit. Diese ganz unterschiedlichen Stilrichtungen des Mobiliars werden als Möbelstile bezeichnet.
Möbelstile sind seit jeher eng mit dem Architekturstil der jeweiligen Zeit verbunden. So finden sich einzelne Elemente der Gebäudearchitektur, wie Profile und Ornamente, oft auch in verkleinerter Form in den Möbelstücken des jeweiligen Zeitalters wieder.
Auch sind die einzelnen Epochen nicht strikt voneinander getrennt und gerade Möbel, die am Anfang oder zum Ende einer Epoche gefertigt wurden, weisen oft stilübergreifende Merkmale auf.
Übrigens: Das Wort Möbel stammt vom lateinischen Wort "mobile" und bedeutet beweglich. Als Möbel werden alle beweglichen Einrichtungsgegenstände eines Innenraumes bezeichnet. Unterteilt werden Möbel generell in Kasten-Möbel (wie Kommoden, Schränke und Truhen), in Tafel-Möbel (wie Tische und Schreibtische) sowie in Sitz- und Liegemöbel.
Englischer Schreibtisch Geo MahagoniLampentisch Oliver II in MahagoniChesterfield SesselGeorge I in Eibe
Wie die Möbelkunst Europa erfasste
Ihren ersten Höhepunkt erreichte die europäische Möbelkunst im 15. Jahrhundert. Von Florenz ausgehend erfasste sie im Verlaufe des 16. Jahrhunderts alle europäischen Länder. Bis dato lebte man zusammen mit der ganzen Familie in nur einem großen Zimmer. Hier wurde gekocht, gegessen und geschlafen. Der wachsende Wohlstand entfachte das Begehren nach mehr Privatsphäre und Bequemlichkeit. Der Lebensmittelpunkt wurde auf mehrere Zimmer aufgeteilt. Es entstanden abgetrennte Küchen, Schlafzimmer, Vorratsräume, Wohnzimmer und Arbeitszimmer. Daraus entstand das Verlangen nach entsprechendem Mobiliar für jeweils bestimmte Funktionen. Zudem entdeckte man die Schönheit des Holzes und nutzte seine verschiedenen Farben, Härten und Maserungen. Die Technik des Furnierens erlebte im 16. Jahrhundert ihre Blütezeit und wurde bis ins 17 Jahrhundert weiter verfeinert.
Furnierungen wurden benutzt, um weniger wertvolles Weichholz, wie Kiefer oder Fichte, mit exotischen Hölzern zu veredeln. Verwendet wurde hierfür hauptsächlich Mahagoni oder Palisanderholz. Diese exotischen Hölzer waren aufgrund der geringen Verfügbarkeit Luxusgüter und extrem teuer. Sie wurden ausschließlich zum Furnieren oder für Intarsien verarbeitet. Möbel dieser Art konnte sich nur die Oberschicht leisten. Wer sich das Furnier nicht leisten konnte, nutzte die Möbel unbearbeitet als reinen Holzkorpus.
Als Intarsie werden kunstvolle Holz-Einlegearbeiten beschrieben. Die intarsierte Oberfläche bleibt dabei glatt und es entsteht ein kunstvolles Spiel mit dem Kontrast unterschiedlicher Hölzer, deren Farben und Formen.
Der Barock – England und sein Queen Ann Stil (1702 bis 1714)
Deutscher BarockstuhlDie anschließende Epoche des Barocks gehört zwar zu den letzten gesamteuropäischen Möbelstilen, doch schon hier sind starke regionale Unterschiede zwischen dem Festland und den britischen Inseln zu erkennen.
In Deutschland, Frankreich und Italien war der Wunsch nach möglichst prachtvollen Oberflächen groß. Immer pompöser, geschwungener und extravaganter sollte es sein und man war sogar bereit, die Bequemlichkeit zugunsten der Optik zu opfern. Vielleicht werden Sie einmal die Möglichkeit haben, auf einem Barockstuhl Platz zu nehmen. Ihnen wird wahrscheinlich auffallen, dass er durch seine geschwungene Bauweise zwar ein absoluter Hingucker ist, sich dabei aber äußerst unbequem anfühlt. Möbel aus dieser Zeit wurden oft durch Einlegearbeiten aus Elfenbein verfeinert. Geschwungene Linien und gebauchte Flächen wurden zum typischen Merkmal dieser barocken Möbel.
Englischer BarockstuhlIn England hingegen entwickelte sich, benannt nach der in dieser Zeit herrschenden Queen Ann (Anne Stuart, * 1665, † 1714), ein ganz eigener Barockstil. Dieser war im Verhältnis zum pompösen und prunkvollen Barockstil des europäischen Festlandes eher schlicht und funktional gehalten. Und obwohl beide Stile nun aus edlem Nussbaum gefertigt wurden, war die Käuferschicht eine ganz andere. Die kostbar veredelten Möbel des Festlandes konnte sich nur die höfische Gesellschaft leisten. Die einfachen und bodenständigen Möbel des Queen Ann Stils hingegen waren im traditionsbewussten England des 18. Jahrhunderts die Möbel des breiten Volkes.
Von hier an sollten sich die Wege aber nun endgültig trennen. Gegen Ende der Barockepoche traten zunehmend nationale (wie etwa nord- und süddeutsche, englische sowie französische) Stilformen in den Vordergrund. So entwickelten sich ab jetzt ganz eigene englische Möbelstile, von denen viele sich noch heute großer Beliebtheit erfreuen und ganze Generationen vom „Good Old England“ träumen lassen.
Georgian Epoche - Das Jahrhundert der Möbeltischler
Mit dem in drei Stilphasen unterteilten Georgian Style bahnte sich in der englischen Möbelbaukunst die Glanzzeit an. Wie schon zur Zeit Queen Anns, wurde auch diese Epoche nach den englischen Herrschern, George I, George II und George III benannt und teilt sich in drei aufeinander folgenden Stilphasen auf.
Möbelstil | Zeit | Herrscher |
Early Georgian Style | 1714 - 1727 | George I (Georg Ludwig) |
Mid Georgian Style | 1720 - 1770 | George II (Georg August, Sohn von George I) |
Late Georgian Style | 1770 - 1811 | George III (Georg Wilhelm Friedrich, Enkel von George II) |
Während die frühe Zeit des Georgian Style eher als unbedeutende Übergangszeit wahrgenommen wurde, sind Mid und Late Georgian Style wesentlich bedeutungsvoller. Als um 1720 die Franzosen eine Handelssperre über das in England äußerst rare Nussbaumholz verhingen, wurde dieses nun vom klassischen rotbraun glänzenden Mahagoni ersetzt. Dieses, aus Kuba und Honduras stammende Mahagoni, prägte viele Möbel dieser Epoche maßgeblich und ist bis heute für viele ein wesentliches Merkmal englischer Stilmöbel. Mit dem Mahagoniholz erhielten die englischen Möbeltischler ein schweres Holz mit einer besonders festen und geschlossenen Oberfläche. Dadurch ließ es sich sehr gut polieren, wodurch die außerordentlich schöne Holzstruktur noch besser hervorgehoben werden konnte.
Antike Stühle im Chippendale-StilDie georgianische Epoche wird in England auch als das Jahrhundert der Möbeltischler bezeichnet. Einige Möbeldesigner großer Bedeutung stammen aus dieser Zeit. Die Arbeiten dieser Tischler prägten die Entwicklung des englischen Möbelbaus in kaum vergleichbarer Art und Weise.
Einer von Ihnen ist Thomas Chippendale. Kennzeichnend für Thomas Chippendale war die Verbindung von verschiedenen Elementen. So entnahm er dem französischen Spätbarock (Rokoko) seine geschwungene Form, der Gotik die aufwändigen Schnitzereien und dem ostasiatischen Handwerk die Flecht- und Gitterwerke. Entstanden sind einzigartig zarte und elegante Möbelstücke, die sich auch heute noch großer Beliebtheit erfreuen und ganz entscheidend für die Entwicklung des englischen Möbelstils im 18. Jahrhundert waren. Diese haben allerdings rein gar nichts mit dem nachempfundenen Chippendale-Stil der 50er-Jahre zu tun, mit welchem heutzutage klobige und eher hässlich anmutende Möbel mit Dackelbeinen angepriesen werden.
Typisch für einen Hepplewhite sind auch die viereckigen BeineAuch George Hepplewhite gehörte zu den ganz großen Möbeldesignern dieser Zeit. Mit dem Shield Back Chair entwarf er einen Stuhl mit schildförmigem Rückenteil, dessen Design bis heute weltbekannt ist.
Gegen Ende der georgianischen Möbelepoche, bis in die darauffolgende Stilepoche Regency hinein, gewannen die Entwürfe von Thomas Sheraton zunehmend an Bedeutung. Sheraton Möbel sind oftmals durch stark kontrastreiche Einlegearbeiten gekennzeichnet. Einzelne Möbelstücke bestehen aus mehr als nur einer Holzart. Beliebt waren nicht nur Mahagoni und Buche, sondern auch Satinholz. Seine Entwürfe überschnitten sich häufig mit denen von George Hepplewhite, sind jedoch im Großen und Ganzen ideenreicher und vielfältiger. So können einige Teile eines Möbelstückes bemalt, gefärbt oder mit einem dicken schwarzen Lack überzogen sein. Auch flache Schnitzereien findet man häufig. Sheraton Entwürfe sind bekannt für ihr leichtes und elegantes Erscheinungsbild.
Windsor-StuhlDen größten Durchbruch aber schaffte in dieser Zeit der Windsor-Stuhl. Die Legende besagt, dass König George II auf einer Fuchsjagd in der Nähe von Windsor Castle im Hause eines Bauern Schutz vor einem Sturm suchte. Der Bauer bot ihm an, auf einem seiner Stühle Platz zu nehmen. Die Bequemlichkeit bei einem derart schlichten Design soll den König so überzeugt haben, dass er seine Möbeltischler damit beauftragte, sein Schloss damit auszustatten. Wo der Stuhl bzw. das Design aber genau herkam, konnte nie geklärt werden, da es zu bäuerlichen Möbeln keinerlei Aufzeichnungen gab. Nichtsdestotrotz wurde der Windsor-Stuhl landesweit bekannt und gehörte zu den ersten englischen Möbelstücken, welche auf Masse produziert werden konnten. Man benötigte für die Herstellung relativ wenig Holz und nur wenig Werkzeug. Die Einzelteile ließen sich platzsparend stapeln und konnten somit auch von kleinen Handwerksbetrieben gut vorproduziert werden. Markenzeichen ist die typische „Stäbchenlehne“ und sein geringes Gewicht bei gleichzeitig hoher Stabilität.
Der Windsor Stuhl erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit und wird auch heute noch in vielen Ländern produziert.
Stilepoche Regency (1800 bis 1830)
Benannt nach der Regentschaft des Prinzen von Wales, der nach dem Tod seines Vaters George III als George IV den Thron besteigen musste, war diese Stilepoche geprägt von der nahenden Industrialisierung.
Der Klassiker Stuhl von Kai Wiechmann mit seinen für die Regency Stilepoche typischen schneckenförmigen ArmlehnenDer Möbelstil dieser Zeit basierte auf einer schweren Geradlinigkeit mit teils opulenten Verzierungen. „Man vereinte, was gefiel“ könnte man meinen und so fanden sich die verschiedensten altertümlichen Dekorelemente in den Möbelentwürfen dieser Zeit wieder. Dieser Stil war eine Mischung aus französischem Empire sowie römischen, griechischen und ägyptischen Ornamenten.
Maßgeblich prägend hierfür waren die Entwürfe von George Smith und Thomas Hope. Während Hopes Entwürfe für eine reiche Elite mit einem hohen Bildungsniveau gedacht waren, entwarf George Smith seine Möbel eher für die modebewusste Mittelklasse. Die Nachfrage nach Möbeln war so groß, dass die Hersteller anfingen, die aufwändigen Produktionsmethoden zu verkürzen, was leider einen Qualitätsverlust mit sich brachte. Doch die Kunden in jener Zeit interessierten sich nicht so sehr für die Qualität oder gelungene Proportionen, sondern verlangten nach prunkvollem Mobiliar, das zugleich schnell produziert werden sollte. Beide Designer ließen nichts unversucht, möglichst auffallende und aus ihren Augen dekorative Möbelstücke zu entwerfen. Dabei entstanden überladene, sich an etlichen Epochen bedienende Kreationen, die die Bildung eines charakteristischen Stils für diese Zeit nicht zuließ.
Auch den bürgerlichen Wohnstil konnten diese Entwürfe dauerhaft nicht beeinflussen. Und so blieb die Epoche des Regency recht kurz. Am Ende, etwa um 1830, kehrten die Engländer dann, wenn auch nur kurzweilig, zum etwas schlichteren Wohnstil zurück.
Ein schönes Beispiel hierfür ist die auch heute noch sehr beliebte Stuhlform mit geschwungenen, in Voluten (Schneckenform) endenden, Armlehnen und dem rechteckigen, tief gebogenem Schulterbrett.
[Bild: Abbildung Klassiker]
Die Ära Queen Victoria – 63 Jahre voller Veränderungen (1830 bis 1901)
Die Viktorianische Periode war eine aufregende Zeit. Große Veränderungen standen an. Die Bevölkerung Englands verdoppelte sich zwischen 1800 und 1850 nahezu und brachte eine breite, wohlhabende und bürgerliche Schicht hervor. Die Industrialisierung war in vollem Gange und immer mehr Menschen zog es in die Städte. Zu dieser Zeit entstanden auch die für England typischen Häuserreihen.
BallonrückenlehnstuhlDank der Industrialisierung hatten noch nie zuvor mehr Menschen die Mittel und Möglichkeiten, ein Haus zu beziehen. Diese neue wohlhabende Bürgerschicht wollte mehr denn je zeigen, was sie hatte. Und das nicht nur im Bereich der Mode. Das neue Eigenheim samt Einrichtung war Mittelpunkt des Familienlebens und sollte ein Symbol für den Wohlstand sein. Daher wurde die alte Einrichtung erst gar nicht mit ins neue Haus genommen. Sie wurde zurückgelassen, verschenkt oder in unbenutzte Räume gestopft. Man wollte sie schlicht und ergreifend nicht mehr. Stattdessen brach eine unvorstellbare Nachfrage an neuen Möbeln über die Handwerksbetriebe herein und brachte diese an ihre Grenzen. Die kommerzielle Möbelproduktion expandierte stark, um den Bedarf der schnell wachsenden Bevölkerung zu decken.
Prunkvoll, romantisch aber dennoch eleganter als zur Regency Zeit sollten die Möbel sein. Man orientierte sich am französischen Spätbarock, dem Rokoko. Durch aufwändige an die Gotik erinnernde Schnitzereien, hochwertige und verspielte Stoffe sowie extravagante Formen sollten die Möbel den luxuriösen Wohlstand in Zeiten der Industrialisierung widerspiegeln. Man wollte eine herrschaftliche Umgebung in den eigenen vier Wänden schaffen. Passend dazu zeichnen sich viktorianische Möbel auch durch ihre Größe aus. Schubladenkommoden, Esstische und Bücherschränke nahmen imposante Proportionen an, um den Wohlstand und den Status der Eigentümer zu repräsentieren. Das schönste und schöpferischste Ergebnis der viktorianischen Möbelkunst stellt für viele der Ballonrückenlehnstuhl dar. Durch die geschwungenen Beine und die oval gerundeten Lehnenrahmen zeigte diese Stuhlform eine Eleganz, welche die meisten Möbel dieser Zeit vermissen ließen.
Das edwardianische Zeitalter – der Versuch eines englischen Jugendstils
Edward VII, ältester Sohn von Königin Victoria, regierte von 1901 bis 1910. Die edwardianische Stilperiode von 1895 bis 1914 ist nach ihm benannt. Auch während dieser Ära neigte man dazu, historische Elemente erneut zu verwenden. So zog man die Entwürfe von Hepplewhite und Sheraton heran, kopierte diese fleißig und veredelte sie mit feinen Bandintarsien sowie muschel- und sternförmigen Einlegearbeiten. Im Design konnte sich der Jugendstil in England nicht in der Form durchsetzen, wie er es in Frankreich oder Deutschland tat. Die Epoche ist eher wegen Ihrer technisch hervorragenden Reproduktionen früherer Stile bekannt als für neue Entwürfe und Designs. Daher verlor England in dieser Zeit auch seine führende Rolle an skandinavische und deutsche Möbeldesigner, da England weder zum folgenden Bauhausstil noch zum Art Déco wesentliche Designvorlagen liefern konnte.